Zusammenfassung
Bei der Untersuchung der Lebenserscheinungen entdeckt man in immer zunehmender Verfeinerung der Analyse immer neue physikalische oder chemische Einzel zusammenhänge. Das Leben aber selbst ist immer das Ganze, aus dem man solche Einzelheiten, die immer unlebendig, bloß physikalisch-chemisch, nie das Leben selbst sind, heraus-analysiert. Man erkennt, daß Phänomene, die man früher für Rätsel des Lebens hielt, wohl z. T. physikalisch-chemisch erklärbar sind, aber das Leben selbst ist gar nicht tiefer erkannt worden. Es kann nur beschrieben werden; trotz der Vermehrung der Beschreibungen und damit der bewußten Kenntnis der Lebenserscheinungen und Lebensformen erklärt man nichts vom Leben. In einer gewissen Analogie hierzu steht unser Verhalten zum Seelenleben. Wir analysieren aus dem Seelenleben einzelne Zusammenhänge heraus (z. B. Leistungen des Gedächtnisses, Arbeitsfähigkeit, Assoziationsverlauf, verständliche Zusammenhänge zwischen dem Erlebnis und seinen Nachwirkungen usw.). Aber es bleiben für uns immer, je weiter wir analysierend vordringen, um so eindringlicher, gewisse Ganzheiten des Seelischen übrig, aus denen wir maches herausgelöst haben und weiter herauslösen werden, die wir aber immer auch noch als Ganzheiten zu erfassen suchen und bei der Zergliederung unserer Kranken immer beschreibend aufweisen und diagnostisch verwerten. Das Ganze aller Begabungen, aller Talente, aller Werkzeuge, die zu irgendwelchen Leistungen in Anspassung an die Lebensaufgaben brauchbar sind, nennen wir die Intelligenz. Das Ganze der verständlichen Zusammenhänge, besonders des Trieb- und Gefühlslebens, der Wertungen und Strebungen, des Willens, nennen wir die Persönlichkeit. Intelligenz und Persönlichkeit bleiben für uns immer in hohem Grade unklare Begriffe. Sie sind Ideen eines Unendlichen. Was wir damit meinen, können wir nie ausschöpfen. Den Sinn, in dem wir diese Begriffe in der Psychopathologie gebrauchen, und die Zusammenhänge, in denen sie für uns auftreten, suchen wir, so gut es angeht, klar zu machen. Dabei wird sich zeigen, daß wir nicht das „Ganze“ als solches fassen können, sondern daß wir auch hier wieder alsbald an alysieren. Denn wir erkennen nicht das Ganze des Seelenlebens, auch nicht das Ganze einer individuellen Persönlichkeit, sondern richten unsere Intention auf dieses Ganze durch konstruierte Typen (Typen der Persönlichkeit und der Intelligenz), welche selbst nicht das Ganze, sondern bloß endliche Maßstäbe sind, die uns Wege der möglichen Auffassung zeigen, ohne daß wir ans Ziel gelangten.