Zusammenfassung
Wenn ergründet ist, wie aus dem Eigengewissen des Einzelnen sein Staatsgewissen abfolgt, dann ist die Bahn für eine grenzenlose Arbeit am Staate freigelegt. Der Einzelne weiß um die Seele des Volkes, er weiß aber auch um sich selbst. Und nur diese Selbstbesinnung führt den Menschen zur Besinnung auf seinen Staat, weil der Einzelne nicht an der Gemeinschaft ablesen kann, wie er sich ihr gegenüber zu verhalten hat. Sein einziger Führer ist sein Gewissen. Wo die wissende Seele in sich selbst eindringt, da schlägt sie die Brücke von der Logik in die Ethik. und diese Brücke ist das Gewissen, dessen wesentlichstes Merkmal die Ruhelosigkeit ist. Wer aber sagt, es gäbe ein gutes oder ruhiges Gewissen, der ist so satt und selbstzufrieden, daß er es verlernt hat, sich Rechenschaft zu geben. Das gute Gewissen ist das tote Gewissen. Das unruhige oder böse Gewissen aber ist der kostbarste Besitz des Einzelnen und bedeutet nichts anderes als das Leben seiner Seele. Wer es nicht einsieht, verwechselt böses Gewissen und böse Tat, die sich in bezug auf ihre Bewertung wie Tag und Nacht voneinander scheiden. Es ist ein und dasselbe Gewissen, nämlich der peinigende Stachel des Urwertes Sittlichkeit, der in gleicher Weise den edelen wie den sündhaften Einzelnen beunruhigt. Der Unterschied aber liegt nicht bei dem Gewissen, sondern bei den Einzelnen. Der Edele hat dem Stachel gegenüber eine feinere Empfindlichkeit als der Sündhafte, welcher erst der bösen Tat bedarf, um den Reiz des Stachels zu spüren. Die zarteste Empfindlichkeit jedoch besitzt das Genie, indem es die Ruhelosigkeit überhaupt nicht verliert, trotzdem es gut ist oder vielmehr gerade weil es so gut ist.