Zusammenfassung
Seit der deutschen Vereinigung haben sich die deutsch-französischen Beziehungen verändert. Das vereinte Deutschland ist strukturell — demographisch und ökonomisch — der größte Staat in der EU, der rund ein Viertel zum Sozialprodukt der Union beiträgt. Mit dem Inkrafttreten des Zwei-plus-Vier-Vertrags sind alle souveränitätspolitischen Beschränkungen entfallen, so daß Deutschland nun auch formal zu einem gleichberechtigten Partner in der internationalen Politik geworden ist. Mit der Vereinigung hatte sich auch die Machtkonstellation zwischen Frankreich und Deutschland verändert, so daß die alte Gleichung — Frankreichs Status fußt auf der Nuklearwaffe, der deutsche Status baut weitgehend auf der DM auf — nun nicht mehr aufging. Es mußte nach einem Weg gesucht werden, wie das vereinte Deutschland eingehegt werden konnte, die deutsch-französischen Beziehungen aufrechterhalten bzw. fortentwickelt werden konnten und das französische Selbstverständnis nicht allzu sehr beeinträchtigt werden sollte. Als Methode bot sich erneut die Europapolitik an, die nach Ende des Ost-West-Konflikts nachdrücklich durch die gemeinsamen Aktionen Deutschlands und Frankreichs geprägt wurde. Zunächst war es das Tandem Kohl/Mitterrand, das mit Hilfe zahlreicher Initiativen den europäischen Integrationsprozeß beschleunigte. So ist das Entstehen des Maastrichter Vertrags eindeutig auf die deutsch-französischen Initiativen zurückzuführen. Vergleicht man einzelne Absätze der Artikel des Maastrichter Vertrags mit den deutsch-französischen Initiativen, so wird man hier weitgehende Übereinstimmung finden. Auch die Bildung des Eurokorps ist auf deutsch-französische Initiativen von Mitterrand und Kohl zurückzuführen. Gewiß hatte es in der Zeit des Prozesses der deutschen Wiedervereinigung, besonders zwischen dem Fall der Mauer im November 1989 und der Wahl der ersten freien Volkskammer im März 1990, große Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich gegeben, doch haben die gemeinsamen Initiativen gezeigt, daß nach einer kurzen Phase des Zweifelns das Tandem Kohl/Mitterrand wieder Tritt gefaßt hatte. Es konnte doch auch gar nicht überraschend sein, daß französische Interessen in bezug auf eine deutsche Wiedervereinigung nicht unbedingt mit den deutschen Interessen übereinstimmen mußten. Und gab es nicht gerade auch in Deutschland Stimmen, die vor einer Wiedervereinigung warnten?